Der guten Tradition entsprechend und der eingelangten kollegialen Aufforderung haben wir, für das Wochenende vom 15. bis 17. Juli 2022 zu dem 60jährigen Jubiläumstreffen des Maturajahrgangs 1962 nach Aigen bzw. ins Ennstal eingeladen.
Der Bericht umfasst das Treffen und Erzählungen aus unserer Zeit in der Schule Raumberg.
60jähriges Maturatreffen des Jahrgangs 1962
Bericht und Fotos von Theodor Quendler (MJ 1962)
Der guten Tradition entsprechend und der eingelangten kollegialen Aufforderung haben wir, Fritz Bauer und ich, für das Wochenende vom 15. bis 17. Juli 2022 zu dem 60jährigen Jubiläumstreffen des Maturajahrgangs 1962 nach Aigen bzw. ins Ennstal eingeladen. Wie bei unserer Klasse immer üblich, war dabei auch ein Besuch der Schule und der angeschlossenen Forschungsstätte Gumpenstein eingeplant. Trotz des Sommerbetriebs war es möglich, in beiden Fällen kompetente Führungen zu haben: Kollege Franz Luidold an der Schule und Kollege Hans Häusler in der Forschungsanstalt. Beiden sei auf diesem Wege für die gute instruktive Führung nochmals bestens gedankt.
Der Einladung sind an die 20 Schulkollegen gefolgt (einige zusätzlich, wenngleich sie im beigeschlossenen Bild fehlen). Seit dem letzten Treffen hatten wir zumindest fünf Todesfälle zu beklagen; im Alter von 80 Jahren und darüber allerdings nichts Ungewöhnliches. Einige waren krankheitsbedingt (selbst Fritz Bauer als entscheidender Organisator wegen einer dringenden Hüftoperation) oder etwa wie Bertold Göttl durch seine immer noch aktive Rolle bei volkskulturellen Veranstaltungen an der Teilnahme verhindert. Wir dürfen uns jedoch glücklich schätzen, dass wir als mittlerweile mehr oder weniger über 80jährige zu diesem Anlass in dem in guter Erinnerung vertrauten Ambiente zusammenkommen konnten. Ja, und bisher war es üblich, dass wir unseren Treffen immer auch Teilnehmer aus der Lehrerschaft begrüßen konnten. Mittlerweile sind die meisten allerdings verstorben. Nichts bekannt ist über den Verbleib von unserem Klassenvorstand Karl Nagl, der seit seiner Pensionierung in Wien lebt, von dem wir aber schon länger kein Lebenszeichen mehr bekommen haben.
Durch den Beitrag von Engelbert Fill, „Raumberg – die andere Erinnerung“ ist über unsere Klasse aktuell wieder Einiges ins Gespräch gekommen. Verschiedene Umstände haben möglicherweise dazu beigetragen, dass der Zusammenhalt der Klasse in schwierigen Situationen sich zusätzlich verstärkt hat. Es soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden, es soll nur das beigefügte Foto zeigen, wie die Klasse bei einem kränkenden Übergriff auf einen der Kollegen, der vor einigen Jahren verstorben ist, reagierte. Aufgrund eines vermuteten Haarausfalls hat sich der Kollege die Haare kurz schneiden lassen. Direktor Lerner hat ihn daraufhin als Kameltreiber apostrophiert. Das hat den Schulkameraden sehr getroffen; er war möglicherweise auch etwas übersensibel. Jedenfalls haben sich die Klassenkameraden daraufhin mit ihm geschlossen solidarisiert – und schon haben sich die Hobbyfriseure aus der Klasse an die Arbeit gemacht. Das beigeschlossene Foto ist ein Bilddokument von dieser Aktion.
Und nun zu einem sachlichen Rückblick
Professor H. Pieslinger bietet auf der Website des HBLA Raumberg einige Daten zur Geschichte dieser besonderen Bildungsstätte, die von Anfang an ebenso wie jene in Wieselburg eine Sonderstellung einnahm und dem Landwirtschafts- und nicht dem Unterrichtsministerium zugordnet war. Wie die Darstellung zeigt, war deren Gründung in Westösterreich unter anderem eine Folge der unsicheren politischen Situation nach dem Zweiten Weltkrieg und wie Professor Pieslinger zurecht feststellt, die Bevölkerung im Westen die Schüler nicht in eine Schule in der russischen Besatzungszone schicken wollte. Gleichzeitig ging es darum, einerseits den Kriegsheimkehrern Möglichkeiten für die oftmals durch den Kriegsdienst versäumte Berufsausbildung nachzuholen und andererseits für das land- und forstwirtschaftliche Beratungs-, Versuchs- und Schulwesen entsprechend ausgebildete Fachkräfte bereitzustellen.
Eine besondere Herausforderung in dieser Zeit bestand angesichts der über Jahre andauernden prekären Versorgungslage darin, die Versorgung der Bevölkerung aus heimischer Produktion nachhaltig zu verbessern. Die angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln konnte über Jahre hinweg (Kriegsfolgen verschärft durch Jahre extremer Trockenheit) nur durch bedeutende Importe gewährleistet werden. Ein gravierendes Problem bestand ferner darin, dass vor allem die Gesundheit der Rinderbestände durch TBC weithin nicht gegeben war, dass auch eine Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung darstellte. In der Bekämpfung der Rinder-TBC wurde folglich generell als große Aufgabe gesehen. Eines der ersten Gebiete, in denen die TBC-Freiheit sehr bald erreicht wurde, war das Ennstal. Nicht von ungefähr wurde die Molkerei Stainach in der Folge dafür ausersehen, die Versorgung des US-Militärs zumindest in Teilen Europas mit Milch und Milcherzeugnissen sicherzustellen. Nach dem, was mir dazu in Erinnerung ist, galt dabei wohl auch das Prinzip, dass „Vertrauen auch Kontrolle braucht“, weil, wie zu hören war, in Stainach diesbezüglich immer ein Vertreter des US-Militärs präsent gewesen sein soll. Und was ferner bemerkenswert, war einer der Nebeneffekte dieser Tatsache, dass die Molkerei Stainach ihre Produkte ebenso an den Vatikan lieferte (und immer noch liefern dürfte).
Aufgrund der erwähnten schlechten Versorgungslage in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Produktionssteigerung in der österreichischen Land- und Forstwirtschaft und die Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung eine vorrangige Aufgabe. Der bekannte Linzer Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber[1] führt in einer ausführlichen Abhandlung diesbezüglich eine ganze Palette von biologisch-technischen sowie Strukturmaßnahmen bis hin zur Trockenlegung von Feuchtgebieten an (im damaligen Sprachgebrauch als „zehntes Bundesland“ bezeichnet); darunter wohl auch solche, die aufgrund des mittlerweile gestiegenen Umweltbewusstseins heute sicher sehr umstritten wären. Roman Sandgruber zitiert bezüglich dieser Entwicklung eine Feststellung der Dichterin Gertrud Fussenegger aus „Sorgen und Segen“: „Alles ist anders geworden, manches besser, sehr viel bequemer. Immer weniger Menschen arbeiten auf den Äckern, und immer mehr wird von den Äckern geerntet.“
Nun, man kann hier fragen: Was hat das alles mit einem Absolvententreffen (damals gab es an der Schule Raumberg noch keine Schülerinnen) zu tun – auch wenn es sich quasi um ein Jubiläumstreffen 60 Jahre nach der Matura handelt? Dazu meine Erklärung: Die Situation unserer Klasse war von Anfang an dadurch bestimmt, dass sich die Schule Raumberg nach mehreren Veränderungen (zuletzt insbesondere durch die Übersiedlung von Seefeld in Tirol) in einem Stadium der Konsolidierung befand und nach meiner Auffassung, unser Jahrgang als letzter davon nachhaltig betroffen war. Dafür sprechen folgende Umstände: a) Das erste Schuljahr konnte für uns erst mit Jänner 1959 beginnen – war also verkürzt, weil meines Wissens im Dezember 1958 erst noch der letzte Jahrgang maturierte, bei dem der Unterricht noch nach dem Kalenderjahr geführt wurde, und erst nach deren Abgang konnten wir anreisen. b) Wir starteten mit über 50 Schülern im damaligen Seminarraum (Festsaal?) als Provisorium, der mit Klapptischen und Klappsesseln für größere Veranstaltungen ausgestattet war. c) Und es war zunächst beabsichtigt, unsere übergroße Klasse nach diesem Start im zweiten Jahrgang im Herbst auf zwei Klassen zu teilen. Aufgrund der großen Anzahl an Neuanmeldungen wurden im Herbst Schüler für zwei neue erste Klassen aufgenommen und es blieb bei unserer großen Klasse – also wie so oft bei diesem Provisorium und das gleich bis hin zur Matura im Jahr 1962.
Trotz dieses Provisoriums konnten die Klasse – abgesehen von einzelnen Abgängen, zugleich aber mehreren Zugängen – die Schule mit Matura erfolgreich abschließen. Der Kernbereich des Bildungsangebotes umfasste naturgemäß die verschiedenen Fachbereiche der Land- und Forstwirtschaft. Das Lehrangebot war entsprechend dem Level von Mittelschulen allerdings darüber hinaus sehr breit angelegt. Das heißt, neben den fachlich technisch ausgerichteten Fächern umfasste der Lehrplan folglich auch Mathematik, Deutsch, Geschichte, Geographie, Stenographie, Maschinschreiben bis hin zu den humanistischen Fächern Religion, philosophische Propädeutik, Musik und Volkskunde. Englisch wurde als Fremdsprache ebenfalls angeboten, allerdings nur als Frei- bzw. Wahlfach. Auch der Bereich des Musischen durfte nicht vernachlässigt werden, wie sich das bei den verschiedenen feierlichen Anlässen zeigte.
Absolventen der Schule Raumberg hatten jedenfalls gute Voraussetzungen für einen direkten Berufseinstieg; gleichzeitig hatten sie auch die Möglichkeit, sich für ein einschlägiges Hochschulstudium zu entscheiden (das damals allerdings mit Ergänzungsprüfungen in einigen allgemeinbildenden Fächern; in Wien beispielsweise beim Wiener Stadtschulrat). Aus unserer Klasse haben sich folglich eine größere Anzahl der Absolventen für ein Hochschulstudium (zumeist an der BOKU in Wien, einige auch in Stuttgart-Hohenheim) entschieden, etliche nach einer Zusatzausbildung auch für das Bankenwesen oder für die Lehrtätigkeit an einschlägigen Berufs- bzw. Fachschulen, im landwirtschaftlichen Beratungs- und Versuchswesen. Der Bedarf an entsprechend ausgebildeten Fachkräften war damals generell sehr groß und die Berufsaussichten daher entsprechend günstig (allerdings zunächst bei sehr niedrigen Anfangsgehältern).
Lernen in der Schule Raumberg anno dazumals
Nach diesem allgemeinen Rückblick noch einige Ausführungen zu spezifischen Themen, die erkennen lassen, dass das Lehrprogramm großteils auf der Höhe der Zeit war. Die Landtechnik der überwiegend bäuerlichen Landwirtschaft waren zu dieser Zeit u.a. bestimmt durch: den Steyr 15-Hackfruchttraktor mit Dreipunkthydraulik, Miststreuer und Ladewagen etc. für die bäuerlichen Betriebe neue Errungenschaften. Die Technik in der Viehwirtschaft war überhaupt unterentwickelt bzw. bestenfalls am Beginn einer nennenswerten Entwicklung (Melkanlagen, Stallentmistung etc.). Für die Unterstützung des Landtechnikunterrichts wurde das damals aktuelle Lehrbuch von Wilhelm Gommel, „Landmaschinen – Grundlagen und Wirkungsweise kurzgefasst“, (1. Auflage 1958) als Behelf empfohlen.
In der Absolventen-Rundschau vom Oktober 2022 (Nr. 180) wurde von Engelbert Fill die landwirtschaftliche Betriebslehre bereits kurz erwähnt. Ich möchte diese als quasi Königsdisziplin nochmals aufgreifen; es gibt dazu doch Einiges Grundsätzliche zu sagen. Für die Forschung und Lehre gab es in den 50er und 60er Jahren doch beträchtliche Herausforderungen. Dazu nur einige Anmerkungen: Ein Unikum auf diesem Gebiet war beispielsweise der sogenannte Wirtschaftsrechenstab von Kurt Blechstein. Professor Six, der in der 3. Klasse Landwirtschaftliche Betriebslehre (einschließlich Buchführung) unterrichtete, hat sich bemüht uns mit diesem vertraut zu machen (siehe Abbildung). Ähnlich dem originären Rechenschieber vereinigte dieser Rechenstab annähernd im Format eines A4-Blattes, nur etwas schmäler (siehe Abbildung), im Hinblick auf die Betriebsplanung jedoch verschiedene Funktionen. Mit der Entwicklung der Elektronenrechner wurde dieser Ansatz von der Linearprogrammierung abgelöst, mit der wir uns dann an der BOKU abgemüht haben, weil sowohl die Verfügbarkeit der Rechner begrenzt war und zusätzlich auch die Rechnerkapazität oft nicht ausreichte.
Nun aber zurück zur Betriebslehre. Als Königsdisziplin war es für den Direktor geradezu ein Privileg diese in der 4. Klasse zu unterrichten. Abgesehen davon, dass Hofrat Lerner gerne aus seinen verschiedenen Erfahrungen berichtete (u.a. von Weigelsdorf, NÖ), waren für ihn die Skripten von Professor Steden aus den 20er Jahren die Grundlage. Die waren schon damals nach dem Zerfall der Monarchie nicht auf die Situation im „Restösterreich“ angemessen, bestenfalls für die wenigen verbliebenen Großbetriebe. Wie ich mich erinnere, kamen dort noch die Begriffe Altern- und Subaltern-Beamte vor, wie das damals möglicherweise noch bei einigen Großbetrieben zugetroffen haben mag.
Dazu noch einige Fakten, die zeigen sollen, mit welchen Schwierigkeiten bei einer Betriebsplanung durch die Entwicklungen in Wirtschaft und Landtechnik zu rechnen ist. Bei der Veränderung grundlegender Basisdaten wird jede Planung durch die Dynamik in der Praxis fragwürdig. Dazu einige Daten, die von Professor Rehrl vom Institut für Landmaschinen und Arbeitsforschung der BOKU Wien aus den 80er Jahren stammen. Nach diesen Angaben waren für die Getreideernte in den 1930er Jahren 270 bis 320 Stunden je Hektar (bei 17 Arbeitsgängen) notwendig; in den frühen 1980er Jahren beim Einsatz der modernen Technik nur noch 2 Mähdrescher- und 3 Traktorstunden. Dazu wird festgestellt, dass dabei 9 von 17 Arbeitsgängen in einem Arbeitsgang erledigt werden (d.h. Entfall von mehrfachen Sammel- und Ladearbeiten). Bezüglich des spezifischen Arbeitsaufwandes je erzeugte Einheit kam er nach seinen Berechnungen: je Tonne Brotgetreide sank der Aufwand von 150 auf 4 AKh (Arbeitskraftstunden), bei Körnermais von 140 auf 2 und bei Zuckerrüben von 130 auf 10 AKh. Welche Veränderungen sich durch solche Entwicklungen auf betrieblicher/unternehmerischer Ebene ergeben, konnte ich selbst bei einer Untersuchung im Waldviertel feststellen. Bei meinen Erhebungen zeigte sich, dass ein bestimmter Gutsbetrieb in den 1940er/50er Jahren an die 280 Arbeitskräfte hatte, wobei neben einem Sägewerk auch verschiedene Werkstätten wie Schmiede, Wagner, Sattler dazu gehörten. Also ein nahezu autarkes Dorf. Zum Zeitpunkt der Erhebung in den späten 80er Jahren hatte der Gutsbetrieb nicht einmal mehr 30 Arbeitskräfte. Eine allzu komplexe verbindliche Betriebsplanung ist so kaum möglich; man muss sich eher auf iterative Planungsschritte einstellen.
[1] Roman Sandgruber: Die Landwirtschaft in der Wirtschaft: Menschen, Maschinen, Märkte. In: Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert; 2002 by Verlag Carl Überreuter, Wien. S. 198