Bericht und Fotos: Dipl. Ing. Josef Riegler (MJ 1960)
erschienen in der Absolventenrundschau Nr. 184 | Heft 3/2023
WER KANN OHNE GOTT LEBEN UND DENKEN?
Diese mir gestellte Frage kann ich nur mit „NIEMAND“ beantworten.
Denn ohne Gott gäbe es uns nicht!
Eines vorweg: Ich bin gläubiger Katholik und bin in einem religiösen Milieu aufgewachsen.
Die entscheidende Prägung erhielt ich während des Studiums in der Katholischen Hochschuljugend und anschließend durch meine Tätigkeit in der Katholischen Aktion Steiermark.
Seit der Studentenzeit 1960 bis 1965 engagiere ich mich gesellschaftspolitisch im Sinne der katholischen Soziallehre: Als Abgeordneter zum Nationalrat, als Mitglied der Landes- und Bundesregierung und seit 1991 mit der Gründung des Ökosozialen Forums im Rahmen von NGOs.
Zwei Meilensteine meines Wirkens sind:
Die Ökosoziale Marktwirtschaft als Modell der Balance zwischen leistungsfähiger Marktwirtschaft, sozialer Fairness und wirksamem Umwelt- und Klimaschutz.
Zweitens das Projekt: „Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft“ als Instrument für eine gerechtere Welt.
Was meinen wir mit „GOTT“?
Im Laufe der Geschichte und in den unterschiedlichen Kulturen haben sich die Menschen die unterschiedlichsten Gottesbilder geschaffen – oft mit allzu menschlichen Zügen.
Wenn Menschen nicht mehr an Gott glauben können, mag es auch daran liegen, dass sie einem falschen Gottesbild anhängen.
Judentum, Christentum und Islam berufen sich auf Gott, der sich Menschen geoffenbart hat.
Ich zitiere aus dem Katechismus der katholischen Kirche:
„Das Verlangen nach Gott ist dem Menschen ins Herz geschrieben, denn der Mensch ist von Gott und für Gott erschaffen. Gott hört nie auf, ihn an sich zu ziehen. Nur in Gott wird der Mensch die Wahrheit und das Glück finden, wonach er unablässig sucht“ (Nr. 27)
„Indem er seinen geheimnisvollen Namen JHWH – „Ich bin der ich bin“- offenbart, sagt Gott, wer er ist und mit welchem Namen man ihn anreden soll…“ (Nr. 206)
„Der ewige Ursprung des Geistes offenbart sich in seiner zeitlichen Sendung. Der Heilige Geist wird den Aposteln und der Kirche vom Vater im Namen des Sohnes sowie vom Sohn selbst gesandt, nachdem dieser zum Vater zurückgekehrt ist. Die Sendung der Person des Geistes nach der Verherrlichung Jesu offenbart das Mysterium der heiligsten Dreifaltigkeit in seiner Fülle.“ (Nr. 244)
„DIE DREI GESICHTER GOTTES“
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber benennt drei Möglichkeiten, wie Gott erfahren und verstanden werden kann: Er spricht von „Naturhaftigkeit“, die sich in allem darstellt (drittes Gesicht), von „Personhaftigkeit“ (zweites Gesicht) und von „Geisthaftigkeit“ als Ursprung von allem (erstes Gesicht).
Diese Gedanken wurden von Marion Küstenmacher u.a. im Buch „Gott 9.0“ aufgegriffen:
Das dritte Gesicht Gottes – Geist in der dritten Person – das „Große ES“.
Die große, unpersönliche, evolutionäre Ordnung aller lebendigen Systeme, die nichts aussschließt und alles in sich birgt. Der absolute Urgrund unserer Existenz. Die Kunst des Kosmos, sich immer wieder neu zu offenbaren.
Das zweite Gesicht Gottes – Geist in der zweiten Person.
Die Begegnung mit dem Geist als dem göttliche DU; also einem lebendigen, alles umfassenden Gegenüber. Die „Ich- Du – Liebe“ zwischen Mensch und Gott weist dem ICH den Weg in Demut, Dankbarkeit und Hingabe.
Das erste Gesicht Gottes – Geist in der ersten Person:
„ICH BIN DER ICH BIN“. Geist in der ersten Person ist das reine Bewusstsein in uns, das seine Identität mit dem allumfassenden Göttlichen erkennt. Die Trennung zwischen Schöpfer und Geschöpf ist aufgehoben – man ruht in Gott als dem ursprünglichen Selbst: „Ich und der Vater sind eins“ ist die Erfahrung von Jesus. Er sagt, dass jeder seiner Freunde diese Erfahrung machen kann. „An jenem Tag werdet ihr erkennen, dass ich in meinem Vater bin, und dass ihr in mir seid und ich in euch.“ (Joh. 14).
MEIN PERSÖNLICHER ZUGANG
Mir persönlich hilft, wenn ich über jene Eigenschaften meditiere, die Gott zugeschrieben werden:
„GOTT IST EWIG“ – ER ist außerhalb des Phänomens „Zeit“, ohne Anfang und Ende. GOTT IST!
„GOTT IST UNENDLICH“ – für IHN gibt es keine Begrenzung durch Universen. Er ist außerhalb des Phänomens „Raum“.
„GOTT IST ALLMÄCHTIG“ – alles, was ist, hat in IHM seinen Ursprung.
„GOTT IST ALLWISSEND“ – alles, was in der Ordnung von Universen und in der Evolution an unfassbarer Intelligenz existiert, kommt aus IHM.
„GOTT IST DIE WAHRHEIT“ – „Die Wahrheit Gottes ist auch seine Weisheit, die die ganze Ordnung der Schöpfung und den Lauf der Welt bestimmt.“ (Katechismus Nr. 216)
„GOTT IST LIEBE“ – „Liebe ist das Wesen Gottes. Indem er in der Fülle der Zeit seinen einzigen Sohn und den Geist der Liebe sendet, offenbart Gott sein innerstes Geheimnis: Er selbst ist ewiger Liebesaustausch – Vater, Sohn und Heiliger Geist – und hat uns dazu bestimmt, daran teilzuhaben.“ (Katechismus Nr. 221).
In dem Zusammenhang hat mich eine neue Botschaft aus der Wissenschaft vom Februar 2023 tief berührt: Ein Team von 150 Forscherinnen und Forschern der Universität Chicago hat eine neue Karte des Universums veröffentlicht, die ALLE MATERIE in unserem Universum enthält. Das Resümee dieser Arbeit: „Die gesamte Materie in unserem Universum macht nur etwa 30 Prozent aus. 70 Prozent ist dunkle Energie. Die dunkle Energie ist für die Ausdehnung und Beschleunigung unseres Universums verantwortlich. Von den 30 Prozent macht die SICHTBARE MATERIE NUR EIN PROZENT AUS! Dazu gehören Sterne, Staub und Gase. Die übrige wird als dunkle Materie bezeichnet. Für die Struktur des Universums und die Entstehung der Galaxien soll die dunkle Materie maßgeblich mitverantwortlich sein.“
Noch vor wenigen Jahren war zu lesen, dass die sichtbare Materie 5 bis 7 Prozent ausmachen soll…
Alles, was wir an Galaxien, Sternen, Staub und Gasen im Universum erkennen können –
NUR EIN PROZENT!?
Das erinnert mich an ein Lied: „Du großer Gott, wenn ich die Welt betrachte, die DU geschaffen durch DEIN ALLMACHTWORT ….. dann jauchzt mein Herz DIR großer Herrscher zu: Wie groß bist DU, wie groß bist DU!“
Im Juli 2023 hat die Europäische Weltraum Agentur ESA das bisher größte und spektakulärste Weltraumteleskop „Euclid“ auf die Reise ins Weltall geschickt. Die Sonde soll Galaxien in bis zu 10 Milliarden Lichtjahren Entfernung erkunden und eine neue „Himmelskarte“ möglich machen.
„ES GIBT KEINE MATERIE AN SICH“
Max Planck, Entdecker der Quantenmechanik, sagte in einem Vortrag zum Thema: „Das Wesen der Materie“: „Als Physiker, also als ein Mann, der sein ganzes Leben der nüchternen Wissenschaft, nämlich der Erforschung der Materie diente, bin ich sicher frei davon, für einen Schwarmgeist gehalten zu werden und so sage ich Ihnen nach meinen Erforschungen des Atoms dieses: Es gibt keine Materie an sich! Alle Materie entsteht und besteht nur durch eine Kraft, welche die Atomteilchen in Schwingung bringt und sie zum winzigsten Sonnensystem des Atoms zusammenhält… So müssen wir hinter dieser Kraft einen bewussten intelligenten Geist annehmen. Dieser Geist ist der Urgrund aller Materie! Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale, Wahre, Wirkliche, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist ist das Wahre! Da es aber Geist an sich allein ebenfalls nicht geben kann, sondern jeder Geist einem Wesen gehört, müssen wir zwingend Geistwesen annehmen.“ (Vortrag Florenz 1944).
In dem Zusammenhang berühren mich immer wieder die Aussagen des aus Wien gebürtigen und in den USA wirkenden Benediktiners David Steindl-Rast:
„Gott – der Ursprung allen Seins“
„Gott – das große Geheimnis“
Berührend formuliert der US-amerikanische Religionswissenschaftler Paul Ferrini: „Gott entzieht sich jeglicher Definition. Er kann nicht auf die Vorstellungen reduziert werden, die wir von ihm haben. Sein Geist durchdringt als unbegrenzte Präsenz unser Bewusstsein und unsere Erfahrungswelt. Wir beziehen unsere innerste Substanz aus dieser Präsenz. Sie ist unser eigentliches Wesen, obwohl wir uns nur selten unserer innersten Präsenz bewusst sind. Der göttliche Geist oder die spirituelle Essenz wird nicht geboren und sie stirbt nicht. Sie existiert vor der physischen Geburt und nach dem physischen Tod.“
„Europäischer Geist“: Höhenflug und Abgründe
„COGITO, ERGO SUM“ – „Ich denke, also bin ich“
Dieser berühmte Satz des französischen Philosophen und Mathematikers Rene‘ Descartes symbolisiert das Durchbrechen einer geistigen Schallmauer. Der Mensch sprengt die Grenzen kirchlicher Dogmen und tradierter Vorstellungen. Bereits Thomas von Aquin suchte die Einbindung der antiken griechischen Philosophie in die katholische Theologie.
Um 1420, mit Beginn der Renaissance, setzt der Höhenflug des „Europäischen Geistes“ mit Vehemenz ein und bestimmt mit zunehmender Dynamik das Denken und die Kultur des Abendlandes. Städte werden wirtschaftliche, politische und kulturelle Zentren. „Humanismus“: Der Mensch rückt in den Mittelpunkt. Die „Entfesselung“ des Geistes nimmt immer rascher Fahrt auf.
Europäer beginnen die Weltmeere zu erobern: Kolumbus „entdeckt“ Amerika (1492); Magellan schafft die erste Weltumsegelung; Nord- und Südamerika werden auf brutale Weise erobert; Millionen Afrikaner als Sklaven verschleppt; indigene Völker ausgerottet…
Im 19. Jahrhundert beherrschen europäische Staaten mittels Kolonialherrschaft und des britischen Empire de facto die gesamte Welt.
Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und technologischen Erfindungen überstürzen sich.
Kopernikus, Kepler und Galilei revolutionieren im 16. und 17. Jahrhundert das Weltbild: Nicht die Erde ist das Zentrum, sondern die Planeten kreisen um die Sonne und die Erde dreht sich um sich selbst.
Ab dem Moment geraten Naturwissenschaft und katholische Kirche in Konflikt. Galilei muss vor der Inquisition „abschwören“. Nach der Legende hätte er beim Weggehen gemurmelt: „Und sie bewegt sich doch!“ Erst 1992 wurde er durch Papst Johannes Paul II. rehabilitiert!
Eigentlich beruhte dieser Streit auf einer Verkennung der „Zuständigkeiten“. Dabei hätte man schon bei Platons „Ideenlehre“ nachlesen können, dass es eine „Sinnenwelt“ gibt: Das, was mit den 5 Sinnen erfassbar, messbar und wägbar ist. Demgegenüber gibt es die „Ideenwelt“ – allgemeingültige Erkenntnisse, die mit den Sinnen nicht erfassbar sind.
Das Missgeschick war, dass die Autoritäten der katholischen Kirche die Schilderungen und Sinnbilder im „Alten Testament“ als unverrückbare naturwissenschaftliche Wahrheiten betrachteten! Eine verhängnisvolle Entfremdung und Gegnerschaft nahm ihren Lauf.
Ähnlich konfliktreich waren auch die Entwicklungen in philosophischen und gesellschaftspolitischen Fragen. Nach Reformation, Gegenreformation, Religionskriegen und Abwehrschlachten gegen die türkische Invasion kam jene Zeitspanne zwischen 1740 und 1800, die wir als „Aufklärung“ kennen.
Das Streben nach Freiheit und Vernunft wurde immer vehementer:
Jeder Mensch sollte seinen Verstand gebrauchen und sich so aus seiner eigenen Unfreiheit befreien.
Durch rationales Denken sollten alle den Fortschritt behindernden Strukturen überwunden werden. Dadurch entsteht Akzeptanz für neu erlangtes Wissen.
Einige prägende Namen für diese Entwicklung:
Gottfried Ephraim Lessing: „Nathan der Weise“ als Appell für religiöse Toleranz.
Voltaire (Francois-Marie Arouet) als einer der wirkmächtigsten Verfechter für Vernunft, Toleranz, Menschenrechte und Menschenwürde.
Jean-Jaques Rousseau mit seinem Motto: „Zurück zur Natur“. „Der Mensch ist von Natur aus gut“. „Das Böse entsteht nur durch äußere Einflüsse“. Vordenker für den europäischen Sozialismus.
Immanuel Kant widmete sich intensiv der Frage: „Was ist Aufklärung?“ Seine Antwort: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit!“
Revolutionen
Die Dynamik dieser Ideen MUSSTE politische Auswirkungen haben!
Absolutismus und „Gottesgnadentum“ waren überholt.
Die „Amerikanische Revolution“ 1776 bis 1783 gegen das britische Königshaus – angeführt von George Washington als Oberbefehlshaber – war stark vom Geist der Aufklärung geprägt. Davon zeugt auch die Verfassung der USA.
„Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“: Die Ideale der französischen Revolution 1789 bis 1799 atmen geradezu den Geist der Aufklärung! Schrecklicherweise mündete sie in das Terrorregime der Jakobiner und schließlich in den neuen Absolutismus von Napoleon Bonaparte.
Überhöhung und Kipppunkt der Ideale der Aufklärung sehen wir nicht nur in den Revolutionen von 1848 sondern ganz besonders im Ideengebäude von Friedrich Nietzsche als Wegbereiter des Existenzialismus mit seiner Leugnung von Gott sowie einem Sinn des Lebens und der Geschichte: „Gott ist tot!“ Aufgabe des Menschen sei es, „neue Werte auf neue Tafeln zu schreiben“. Das Werkzeug dazu: Der Wille zur Macht. Das Ziel: Der „Übermensch“!
Schließlich darf auch Herbert Marcuse, geistiger Vater der Hippie-Bewegung, des Neo-Marxismus und der „1968er Revolution“ nicht unerwähnt bleiben.
Kapitalismus versus Marxismus
Auch das wirtschaftliche und soziale Schicksal der Menschheit wird durch in Europa entwickelte Ideologien bis heute massiv und mit zum Teil verheerenden Folgen geprägt:
Der schottische Moraltheologe Adam Smith und der aus einer jüdischen Familie stammende Börsenmakler David Ricardo gelten als die Begründer des Kapitalismus, der internationalen Arbeitsteilung und der Globalisierung: Fluch und Segen!
Die deutschen Philosophen Karl Marx und Friedrich Engels repräsentieren den Pendelschlag in die andere Richtung:
Mit dem „Kommunistischen Manifest“ von 1848: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ bewirken sie die nächste Revolution. Das Ziel ist die „Diktatur des Proletariats“ und die „Expropriation der Expropriateure“ (Enteignung der Enteigner).
Durch Lenin, Stalin und Mao werden diese Parolen auf brutale Weise durchgesetzt.
Nun bietet Xi Jinping sein Modell als die bessere Alternative zur westlichen Demokratie an.
Nationalismus, Faschismus und Nationalsozialismus
sind die tragischen Früchte und perversen Auswüchse dessen, was Nietzsche sich in seinen Träumen vom Übermenschen vorgestellt hat: Der „Herrenmensch“ der Nazis!
Alles Beispiele für Gesellschaften und Ideologien OHNE GOTT!
In seinem Buch: „Vor der Gefahr der Selbstauslöschung der Menschheit“ bringt Herwig Büchele, SJ, die geistige Fehlentwicklung dramatisch auf den Punkt: „Der Mensch verfällt der Götzenwelt, wenn in seinem Leben keine positive, alternative, ihn tragende Erfahrung und Wirklichkeit aufleuchtet – eben die Erfahrung der Gegenwart Gottes in seinem Leben. … Ohne diese Gotteserfahrung nützt es wenig bis gar nichts, den Menschen zu ermahnen, den Sinn seines Lebens nicht in dieser Welt der Götzen zu suchen.“
Wissenschaftlich-technischer Höhenflug
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, technischen Erfindungen und technologischen Errungenschaften sind insbesonders seit dem 19. Jahrhundert atemberaubend: Von der Dampfmaschine bis zur Genschere, von der Fotografie bis zur Kernspaltung und „Künstlichen Intelligenz“. Für fast alle technologischen Errungenschaften gilt: Fluch und Segen liegen nahe beieinander.
Ohne ethisches Fundament sind wir verloren
„Wir haben den Wissenschaftstest bestanden, aber in Ethik sind wir durchgefallen!“
Dieser Befund von UNO – Generalsekretär Antonio Guterres beschreibt die aktuelle Situation der Menschheit präzise.
Ob Klimakatastrophe, verbrecherische Kriege, Ausbeutung, Terror, unverschämte Bereicherung etc.: Das Grundübel ist immer gleich: Entfesselte Gier; gewissenloses Handeln; ungezähmter Egoismus …
Wie weise klingen da die 2.500 Jahre alten „ZEHN GEBOTE“!
Ohne einen „ethischen Qualitätssprung“ sieht es für die Zukunft der Menschheit düster aus.
Es geht um den Sprung vom RATIONALEN ZUM INTEGRALEN BEWUSSTSEIN!
Statt COGITO, ERGO SUM brauchen wir:
COGITO, ERGO SUM – CREDO, ERGO SUM – AMO, ERGO SUM:
Ich denke, ich glaube, ich liebe – also bin ich: Der ganzheitliche Mensch!
GOTT ERFAHREN!
Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein…
„Das Geheimnis, das wir Gott nennen, ist immer schweigend anwesend und jeder Mensch kann es erfahren!“
Das ist der Kern dessen, was uns der große österreichische Konzilstheologe Karl Rahner (1904 – 1984) vermitteln wollte.
Sein Merksatz: „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“
„Natürlich möchte ich immer den Menschen darauf aufmerksam machen, dass er eine Gnadenerfahrung von innen her macht und dies die ursprünglichste und lebenswichtigste Wurzel aller christlichen Frömmigkeit ist.“ (Rahner)
„Das denkende Herz“
Durch meine Frau bin ich einmal auf ein schmales Büchlein gestoßen: „Das denkende Herz – die Tagebücher von Etty Hillesum 1941 – 1943“. Die holländische jüdische Slawistik- und Psychologiestudentin Etty Hillesum, eine lebenslustige junge Frau, suchte in ihren Tagebucheintragungen mit letzter Konsequenz nach den Quellen ihrer Existenz – und das unter dramatischen Umständen: 1943 wurde sie von den Nazis in Auschwitz umgebracht.
Eine ihrer Tagebucheintragungen wirkte auf mich wie ein kleines „Damaskus-Erlebnis“.
„28. August 1941: In mir gibt es einen ganz tiefen Brunnen. Und darin ist Gott. Manchmal ist er für mich erreichbar. Aber oft liegen Steine und Geröll auf dem Brunnen und dann ist Gott begraben. Dann muss er wieder ausgegraben werden.“
„Ja, das ist es“, empfand ich spontan.
Damit erschloss sich für mich ein Weg, den meine Frau bereits mit größter Intensität gegangen war.
Ihr verdanke ich auf meinem spirituellen Weg das allermeiste.
Ab der Lebensmitte hatte sie sich auf eine tiefgehende Gott- und Sinnsuche begeben.
Sie bearbeitete hunderte Bücher aus Esoterik, indischen Weisheitslehren, Zen-Buddhismus und christlicher Mystik. Ein Buch von P. Hugo M. Enomiya Lasalle, der als Missionar in Hiroshima die erste Atombombe überlebt hatte, führte sie zur Zen-Meditation im Franziskanerkloster Dietfurt in Bayern. Bei P. Willigis Jäger im Haus St. Benedikt in Würzburg absolvierte sie die Ausbildung zur Zen-Lehrerin. Doch dann trat Christus mit voller Kraft in ihr Leben. Es war ein unüberhörbarer Ruf zur Nachfolge. Währen dieser ganzen Zeit durfte ich ihr Gesprächs- und Dialogpartner sein.
Haus Gries – unsere spirituelle Heimat
Ab dem Jahr 2000 wurde das „Haus Gries“ im Bistum Bamberg, im Kreis Kronach, unter der charismatischen Leitung von Franz Jalics, SJ, unsere gemeinsame spirituelle Heimat.
Franz Jalics, 1927 – 2021, entstammte einer ungarischen Adelsfamilie. Nach der kommunistischen Machtergreifung 1948 musste die Familie fliehen. Franz Jalics trat nach dem Abitur in den Jesuitenorden ein und absolvierte Studien in Sprachen, Literatur, Philosophie und Theologie. 1956 wurde er von seinem Orden nach Argentinien geschickt und 1959 zum Priester geweiht. Er wirkte als Dozent für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der ordenseigenen Universität in Buenos Aires. 1974 begab er sich mit einem Mitbruder in ein Elendsviertel, um mit den Ärmsten zu leben. Nach dem Militärputsch 1976 wurde er verdächtigt, mit Terroristen in Kontakt zu sein. Er wurde verschleppt und 5 Monate mit verbundenen Augen und gefesselt gefangen gehalten. In dieser Zeit hatte er tiefe mystische Erfahrungen, die sein weiteres Leben und Wirken prägten.
Nachdem er und sein Mitbruder auf einem Feld hinausgeworfen wurden, ging Jalics zunächst in die USA und dann 1978 nach Deutschland.
1984 erhielt er von seinem Orden und der Diözese Bamberg die Chance, in einem ehemaligen Erholungsheim für lungenkranke Kinder auf einem Höhenrücken im Frankenwald – umgeben von einigen Bergbauern und viel Wald – sein eigenes Exerzitienhaus zu gründen. Sein Anliegen war es, Priestern, Ordensleuten und Menschen, die in der Seelsorge tätig sind, den Weg der christlichen Mystik zu vermitteln.
Das „Haus Gries“ wurde zu einem Markenzeichen für Menschen, die den Weg nach innen suchten. In seinem 400 Seiten umfassenden Standardwerk: „Kontemplative Exerzitien“ hat Franz Jalics seinen spezifischen Weg detailliert beschrieben.
Meine Frau und ich waren 15 Jahre lang jedes Jahr mindestens einmal auf Exerzitien in Gries.
Die „kontemplativen Exerzitien“ dauerten IMMER 10 Tage. Laut Jalics eine Zeitspanne, die nötig ist, um einen inneren Prozess auszulösen.
Eine überaus intensive Zeit:
10 Tage im totalen Schweigen; etwa 6 bis 7 Stunden pro Tag in völliger Stille und möglichst ohne Gedanken versunken „sitzen“; unterbrochen durch 1 bis 2 Stunden Arbeit im Haus oder im Garten; Betrachtung der Natur in den umliegenden Wäldern war sehr erwünscht.
Jeden Abend erlebte die gesamte Gruppe eine berührende Eucharistiefeier, bei der Hostie und Wein im Kreis gereicht wurden.
Das Anliegen von Franz Jalics war, durch diese intensive Art der Exerzitien einen tiefgehenden inneren Prozess auszulösen und die göttliche Quelle in uns zu erschließen.
Jalics legte großen Wert darauf, auch nach den Exerzitien JEDEN TAG zumindest eine halbe Stunde der Kontemplation zu widmen.
Ich kann bestätigen: Das bewirkt eine Wandlung von innen.
Es ist ein Zustand von totaler Stille, totalem Frieden, totaler Grenzenlosigkeit.
Meine Frau und ich haben bis heute jeden Tag unsere fixe Zeit für unser gemeinsames Ritual:
Qi Gong – Gebet – Meditation.
Dadurch erhielten unsere Partnerschaft und unser Leben eine neue Qualität.
Wir hoffen, durch unser Dasein ein wenig zum Frieden beizutragen.
Und wir können hoffnungsvoll der letzten Herausforderung unseres Erdenlebens entgegengehen!
„Du brauchst Gott weder hier noch dort zu suchen; er ist nicht ferner als vor der Tür des Herzens. Da steht er und harrt und wartet, wen er bereitfinde, der ihm auftue und ihn einlasse. Es ist ein Zeitpunkt: Das Auftun und das Eingehen“ (Meister Eckehart)